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Erfahrung

Erfahrungsbericht 3

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Frühstart ins Leben und dann Fehlstart in der Schule ;-)

Mädchen, 27. SSW, Rheinland-Pfalz, Waldorfschule, ADS, Dyskalkulie, auditive Wahrnehmungsstörung

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Vorgeschichte

Unsere Tochter wurde aufgrund einer Gestose und Plazentainsuffizienz in der SSW 26+4 mit

905 Gramm geboren.

Im stationären Verlauf wurde sie intubiert beatmet und brauchte recht lange die CPAP-Beatmung. Sie litt u. a. an einem drainagierten Pneumothorax, anschließend hatte sie ein ausgeprägtes Lungenemphysem, dann infizierte sie sich mit Clostridien, hatte eine fragliche Grad-2-Hirnblutung und benötigte insgesamt 8 Fremdblut-Übertragungen. Nach der Entlassung nach 80 Tagen Intensivstation wurde sie zu Hause noch ein weiteres Jahr monitorüberwacht. Sie wurde ab dem 4. Lebensmonat aufgrund von Strabismus wechselseitig abgeklebt und bekam mit 2 Jahren ihre erste Brille. Mit knapp 4 Jahren wurde bei ihr die erste Schiel-OP durchgeführt, mit gut 9 Jahren die 2. erfolgreiche Augen-OP. Seitdem braucht sie keine Brille mehr ...



Kindergarten und Einschulung


Endlich zu Hause angekommen, entwickelte sich gut und galt sehr lange als das "Wunderfrühchen". Mit 3 Jahren kam sie in den örtlichen Kindergarten und durchlief diesen recht unauffällig.


Im Kindergarten waren wir hier und da mal darauf angesprochen, dass unsere Tochter zeitweilig geistesabwesend und verträumt wirke. Dies hatten wir natürlich zu Hause auch hier und da festgestellt, aber der Kinderarzt fand immer alles total normal und versicherte uns, dass sich unsere Tochter im Kindergarten streckenweise schlicht und ergreifend langweile. Eine Überprüfung im Heiltherapeutischen Zentrum fand unser Kinderarzt zu keiner Zeit angezeigt; auch eine Frühförderung wurde von seiner Seite immer abgelehnt. Wir sollen doch froh und dankbar sein, dass wir ein so tolles Kind haben und die Zeit genießen, hat er uns empfohlen.


Mit gut 6 Jahren erfolgte dann die amtliche Schuluntersuchung, die auch kein Problem für sie darstellte und die zeitgerechte Einschulung in die örtliche Regel-Grundschule erfolgte.


Dann nahm das schulische Drama seinen Lauf …



Grundschule

In der Klasse herrschten leider immer ein großes Durcheinander und ein sehr hoher Geräuschpegel. Die Klassenlehrerin war mit den vielen lauten und wilden Kindern völlig überfordert. Anfangs fiel unsere Tochter noch nicht weiter auf, wie auch, da sie eigentlich immer sehr ruhig und eher zurückhaltend ist. Die Lehrerin war ja mit den lauten Kindern schon ausreichend beschäftigt und hatte große Probleme, die wilde Horde in den Griff zu bekommen.

Unsere Tochter kam mittags aus der Schule nach Hause und wusste oft gar nicht so richtig, was in der Schule überhaupt gemacht wurde. Sie erledigte die Hausaufgaben mit meiner Hilfe meistens eher widerwillig und es flossen viele Tränen. So quälten wir uns - mehr oder weniger - durch das erste Schulhalbjahr, wobei die Leistungen in den meisten Fächern durchaus im guten Mittelfeld lagen, was uns von Seiten der Klassenlehrerin auf Nachfrage auch bestätigt wurde. Lediglich im Fach Mathematik traten unseres Erachtens gleich zu Anfang erste Probleme auf, woraufhin uns die Lehrerin beruhigte, dass alles im grünen Bereich wäre und es bei den einen früher und bei den anderen halt später "Klick" machen würde. Auf unsere Nachfrage, wie wir unterstützend helfen könnten, winkte sie mehrfach ab. Alles ist in Ordnung, wir sollen locker bleiben …

Von den Mitschülern wurde unsere Tochter - bis auf wenige Ausnahmen - leider weitestgehend ausgegrenzt und die klasseninterne "Mädchenbande" hatte sich unsere Tochter als Opfer ausgeguckt. Vereinzelt haben wir die Lehrerin auf verschiedene Vorfälle angesprochen, sie sah aber nie Handlungsbedarf und fand es alles nicht gar so schlimm, eher belustigend, als unsere Tochter beispielsweise in der großen Pause an die Mülltonne auf dem Schulhof angebunden wurde … sie wollten sicher nur Pferdchen spielen, war ihre Aussage.

Gehandelt hat sie dann erst, als wir sie nach einem überraschend "durchwachsenen" ersten Jahreszeugnis auf die nun scheinbar plötzlich doch vorhandenen vereinzelten Minderleistungen unserer Tochter angesprochen und um einen Gesprächstermin gebeten haben.
In diesem ersten Besprechungstermin hat sie mir dann erklärt, dass sie den Verdacht habe, dass unsere Tochter unter ADS leide. Ich habe unsere Tochter noch am gleichen Tag unserem Kinderarzt mit dieser Fragestellung vorgestellt, der direkt abgewunken hat, dass dies absoluter Quatsch sei.

In einem weiteren Gespräch war die Lehrerin dann etwas kleinlaut, hat insgesamt ziemlich zurückgerudert und fand dann doch wieder alles gar nicht so schlimm ... das schulische Drama für unsere Tochter ging dann also nach den ersten großen Sommerferien in der 2. Klasse genauso weiter, wie es in der 1. Klasse schon begonnen hatte.



Wechsel an die Waldorfschule

Wir haben uns dann gleichzeitig jedoch händeringend nach einer schulischen Alternative für unsere Tochter umgeschaut und sind bei dieser Suche auf die in unserer Nähe befindliche Waldorfschule gestoßen.


Anfangs waren wir eher zögerlich und konnten uns dabei uns selber nicht so richtig als Waldi-Eltern vorstellen. Nach einem total lächerlichen Elternabend in der alten Grundschule habe ich jedoch noch am gleichen Abend die Anmeldung für die Waldorfschule ausgefüllt und gleich am nächsten Morgen, einem Freitag, in der Waldorfschule persönlich abgegeben. Noch am gleichen Nachmittag erhielt ich einen Anruf der Klassenlehrerin der dortigen 2. Klasse und wir haben vereinbart, dass unsere Tochter gleich ab Montag zur Probe kommen dürfe. Endlich ein Lichtblick!!!!


Ab diesem Montag ist unsere Tochter in die Waldorfschule gegangen und alles hat sich gewandelt. Plötzlich ging sie gerne in die Schule und hatte jede Menge nette Kinder um sich, die sich für sie interessierten und auch ihre Nähe gesucht haben. Sie bestand die Aufnahmeprüfung an der neuen Schule und wir als Eltern haben auch das ganze Aufnahmeprocedere "überstanden" und plötzlich waren wir Waldi-Eltern!!!!


Bei der Abmeldung in der alten Grundschule hatte ich noch ein überraschend erfreuliches Gespräch mit der Rektorin. Sie hat mir sogar erzählt, dass sie unsere Tochter und uns als Eltern ungern verliert, andererseits mir aber auch zu unserem Entschluss gratuliert und mir noch mit auf den Weg gegeben, dass ihre beiden eigenen Kinder an genau eben dieser Waldorfschule Abitur gemacht haben und für sie immer festgestanden habe, ihre Kinder niemals einem staatlichen Schulsystem auszusetzen. Sie hat mich sehr ermutigt und mir versichert, dass dies der richtige Weg ist, den wir nun gehen werden!


Das alles ist jetzt mehr als zwei Jahre her. Unsere Tochter hat sich total zu ihrem Vorteil verändert. War sie vorher ziemlich verschüchtert und unsicher, ist es selbst Außenstehenden schon in den ersten Wochen des Besuchs der Waldorfschule aufgefallen, dass sie viel offener und mitteilungsbedürftiger geworden ist. Sie hat tolle Freundinnen gefunden und wir sind "angekommen". Die Klassenlehrerin, die diese Klasse, wie an Waldorfschulen üblich, 8 Jahre lang begleiten wird, hat ihre Schüler/innen absolut im Griff und sorgt für einen normalen Geräuschpegel in der Klasse, was unserer Tochter natürlich besonders zugutekommt.


Aufmerksame Eltern haben uns gute Tipps gegeben und so konnte in der Zwischenzeit festgestellt werden, dass unsere Tochter unter einer ausgeprägten Winkelfehlsichtigkeit litt, die zwischenzeitlich mit Hilfe einer Prismenbrille und sich anschließender Augen-Operation weitestgehend beseitigt werden konnte. Leider war dies in der Augenklinik, in der sie alle drei Monate vorgestellt wurde, niemals untersucht worden, da es sich um eine Sonderleistung handeln würde, die uns leider (trotz privater Krankenversicherung) niemals angeboten worden war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich das Wort "Winkelfehlsichtigkeit" noch nicht einmal gehört. Seit der Operation nimmt die Entwicklung unserer Tochter einen rasanten (guten) Verlauf ...


Ein aufmerksamer Vater einer Mitschülerin hatte uns dann aufgrund der Winkelfehlsichtigkeit und Frühgeburt Ergotherapie empfohlen. Ich hatte unseren Kinderarzt in den Jahren zuvor mehrfach auf das Thema Ergotherapie angesprochen .... dies hielt er auch nie für erforderlich und wollte mir auch 2009 das Rezept dafür nicht so richtig ausstellen (O-Ton: "Die werden Dich dort auslachen, wenn Du mit Deinem Kind dort erscheinst!"). Ich bestand auf die Verordnung und unsere Tochter wurde bei der Ergotherapeutin daraufhin 10 Wochen in allen möglichen Bereichen getestet. Dann stand fest, dass sie unter einer "auditiven Wahrnehmungsstörung" (zentrale Schwerhörigkeit) leidet. Seit fast einem Jahr bekommt sie nun auch diesbezüglich eine darauf abgestimmte Therapie und macht gute Fortschritte.


Es war also auch damals im Kindergarten schon keine Langeweile, sondern der Geräuschpegel war für sie einfach zu hoch und sie war mit den Situationen völlig überfordert. Die einzige Chance war dann, einfach "abzuschalten" ….


Im Förderbereich der Waldorfschule wurde dann in diesem Jahr der Verdacht auf Dyskalkulie geäußert, was sich dann nach einer entsprechenden Überprüfung auch bestätigte. Seit einem halben Jahr bekommt unsere Tochter nun auch hier endlich Unterstützung und Hilfestellung und wir hoffen, dass sie ihre große Angst vor Zahlen langsam aber sicher verlieren wird.


Ich habe immer noch die Worte der Grundschullehrerin im Kopf:

"Alles im grünen Bereich, die einen früher, die anderen später!" ...
Unserer Tochter hätte sehr sehr viel erspart bleiben können!

Die Klassenlehrerin der Waldorfschule hat mir nach der vorläufig wohl erst einmal hoffentlich letzten Diagnose in einem persönlichen Gespräch gesagt:

"WIR gehen diesen Weg gemeinsam und ich verspreche Ihnen,
WIR kommen ans Ziel!"

Ich hoffe, ich werde bald nur noch diesen Satz im Kopf haben und bin total froh, dass wir diese Schule für unsere Tochter und uns gefunden haben!


Wir sind nun sehr stolz darauf, dass wir Waldi-Eltern sind!!!

PS: Unseren Namen tanzen wir deshalb aber nicht ;-)


Familie R. aus Rheinland-Pfalz

15.11.2010

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