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Erfahrung

Erfahrungsbericht 9

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Die eigentlich Dummen ...

Zwillingsmädchen, 29. SSW, Baden-Württemberg, Realschule, beinbetonte Spastik, motorische Auffälligkeiten

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Vorgeschichte

Meine zwei Töchter wurden im September 1995 in der 29. Schwangerschaftswoche mit 1100 g und 1200 g geboren. Schnell stand fest, dass Julia eine beinbetonte Spastik hat und auch Michaela war von der Motorik auffällig. Beide haben sich trotzdem sehr gut entwickelt, geistig völlig normal.


Kindergarten und Grundschule

Die ersten Probleme gab es mit der Wahl des Kindergartens, obwohl beide frei laufen konnten. Im Montessorikindergarten, der in unserem Wohnort ist, war es für alle kein Problem. Auch haben sich alle im Kiga sehr bemüht, eine passende GS-Schule für meine Töchter zu finden. Es war für den Rektor der Grundschule in unserem Ort nicht möglich, obwohl beide geistig völlig in Ordnung waren, sie in dieser Schule einzuschulen. Weitere Ausführungen dazu will ich allen ersparen. Eine Grundschule 2 Orte weiter hatte keine Problem damit, dass Julia nicht so gut laufen konnte. Es war weder für die Schüler noch für die Lehrer ein Problem, beide zu unterstützen, dazu muss man auch sagen, dass beide gute Schülerinnen waren. Das einzige, was anders für Julia war, sie durfte immer etwas früher aus der Pause hoch, damit sie in Ruhe die Treppen hochgehen konnte. Im Sport machten beide das mit, was sie konnten und sich zutrauten, auch nahmen beide am Schwimmunterricht teil (beide können schwimmen). Für die Klassenlehrerinnen in der 2. und 4. Klasse war es auch selbstverständlich, beide gehen mit ins Schullandheim.


Realschule

Als die Wahl der weiterführenden Schule anstand, waren wir zwischen Gymnasium und Realschule hin und her gerissen, auch weil es vom Notendurchschnitt eigentlich das Gymnasium sein müsste. Ich aber dachte, Noten sind nicht alles und sagen nicht alles über Kinder in diesem Alter aus. Beide waren sehr zurückhaltende, schüchterne Kinder, auch mussten sie sich manchmal anstrengen, ein bestimmtes Tempo bei den Hausaufgaben zu halten. Wir haben uns dann alle gemeinsam für die Realschule entschieden. Wir dachten noch, jetzt geht der Stress von vorne los. Aber bei uns gibt es nur ein Schulzentrum mit Realschule im nächsten Ort oder man entscheidet sich, seine Kinder mal wieder selber morgens in die Schule zu fahren und abzuholen. Dazu muss ich noch schreiben, beide waren immer schon sehr kleine, zierliche Kinder und für Julia wäre es auch nicht machbar gewesen, mit superschwerem Schulranzen im Gedränge in den Bus zu kommen. Wir entschieden uns für eine kleinere Realschule, auch aus dem Grund, dass unsere Töchter dorthin wollten, und die Rektorin sah keinen Grund, warum sie die beiden nicht aufnehmen sollte. Natürlich gibt es ein paar Dinge, die ich immer rechtzeitig mit der betreffenden Lehrerin oder Lehrer abspreche, denn Julia kann nicht so lange und weite Laufstrecken bewältigen.


Natürlich treffen wir auch an dieser Schule immer wieder auf intolerante Menschen, entweder Schülerinnen, aber was weitaus schlimmer ist, auf intolerante Lehrer. Ein weniger schönes Erlebnis hatten wir mit ihrem Klassenlehrer (zum Glück nur 6 Monate) im Schullandheim. Eigentlich hatte ich nach meinem rechtzeitigem Gespräch mit ihm schon gemerkt, dass es ihm am liebsten wäre, wenn Julia nicht mit ins Schullandheim ginge. So toll war es dann auch. Beide sind jetzt in der 9.Klasse, sind gute Schülerrinnen und wollen eigentlich nach der Realschule weiter auf die Schule gehen.


Beide haben auch schon 2 Praktika gemacht, diese haben sehr gut geklappt. Was natürlich für uns auch sehr wichtig war, dass die beiden inzwischen mit leichtem Gepäck mit dem Bus oder der Straßenbahn mittags nach Hause fahren. Wir waren bereit und hatten auch die Möglichkeit, unsere Kinder selber in Schulen zu bringen, die wir am besten fanden. Dieses hieß und heißt immer noch, selber die Kinder mit dem Auto hinbringen und abholen. Es bedeutet aber auch, Zeit mitzubringen, und wenn man ein paar Stunden arbeitet, eine gute Organisation.


Meine Tipps zum Schluss:

  • Rechtzeitig mit der Schule Kontakt aufnehmen.

  • Einen persönlichen Termin, mit seinem Kind beim Rektor ausmachen.

  • Sich nicht gleich abwimmeln lassen, Unterlagen, Atteste und Unterstützung vom Kindergarten mitnehmen.

  • Auch beim Wechsel in eine weiterführende Schule immer rechtzeitig einen persönlichen Termin bei der Schulleitung ausmachen.

  • Meine Erfahrung war: Steht die Schulleitung hinter deinem Kind, funktioniert es am besten.

  • Auch bereit sein mitzugehen bei einem Wandertag, bis man merkt, sein Kind kann es alleine schaffen.

  • Von sich aus Unterstützung anbieten.

  • Immer das Gespräch suchen mit der Lehrkraft, wenn mal etwas nicht so gut ist.

  • Sich nicht so viel aufregen. Meine Töchter sind zwar auch manchmal traurig, weil sie motorisch nicht alles so gut können und weil manche meinen, mit einer Gehbehinderung (Julia) ist man gleichzeitig dumm.

Im Leben trifft man halt immer wieder auf die eigentlich Dummen.

Dieses sagen meine Töchter.


Familie B. aus Baden-Württemberg
15.01.2011

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